Zusätzliche Messung von Schwefelwasserstoff (H₂S) im Atemtest zur Diagnostik von Dünndarmfehlbesiedlung (SIBO): Evidenz, klinischer Zusatznutzen, Patientenselektion
Hintergrund: Was misst der klassische SIBO-Atemtest heute - und was fehlt?
Standardisierte SIBO-Atemtests erfassen nach oraler Glukose- oder Laktulosegabe traditionell Wasserstoff (H₂) und teils auch Methan (CH₄). Leitlinien und Expertenempfehlungen definieren u. a. einen H₂-Anstieg um ≥ 20 ppm vom Ausgangswert bis 90 min als positiv; CH₄ von ≥ 10 ppm zu einem beliebigen Zeitpunkt während des Tests wird als methanpositiv (IMO) gewertet (Rezaie A. et al.).
Die Bedeutung von schwefelmetabolisierenden Bakterien für die Ausbildung einer Dünndarmfehlbesiedlung ist seit längerem bekannt und hat zur Definition einer vierten Subform der SIBO, der Schwefelwasserstoff-SIBO geführt (Gudan A et al.). Klinisch dominieren hier Symptome wie: Durchfall, Mundgeruch und schweflig riechender Flatus (Gudan A et al.).
Allerdings schließen die aktuellen Empfehlungen für die Durchführung und Bewertung eines SIBO-Atemtests bisher die Bildung von Schwefelwasserstoff noch nicht mit ein, obwohl Sulfatreduzierer (z. B. Desulfovibrio) H₂ verbrauchen und H₂S produzieren, was klassische 2-Gas-Profile verfälschen kann (Banik G. et al.). Dies ist schlicht dadurch begründet, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt Schwefelwasserstoff Atemtests nicht angeboten werden und Grenzwerte für die Bewertung eines Schwefelwasserstoff-Atemtests nicht existieren (Pimentel M et al.).

Abbildung: Die vier SIBO-Subtypen - SIBO-Subtypen unterscheiden sich durch die dominierende Gasbildung und charakteristische klinische Beschwerdemuster.
Biologie und Rationale für H₂S / Wie entsteht Schwefelwasserstoff (H₂S) im Darm?
H₂S entsteht im Darm v.a. durch schwefelmetabolisierende Bakterien, sogenannte Sulfatreduzierer, die bakteriell gebildeten H₂ als Elektronendonor nutzen. Durch den Verbrauch an Wasserstoff für die Bildung von Schwefelwasserstoff kann damit ein geringer oder ausbleibender H₂-Anstieg im Atem kein sicherer Ausschluss von bakterieller Fermentation sein („Hydrogen sink“). Präklinische und klinische Daten verknüpfen erhöhte H₂S-Bildung mit Diarrhö-Phänotypen und mukosalen Effekten (Villanueva-Millan M et al., Voigt W, Buret A et al.). Zusätzlich konnte der Nachweis von Schwefelwasserstoff im Atem mit der relativen Häufigkeit von schwefelmetabolisierenden Bakterien im Stuhl korreliert werden (Villanueva-Millan M et al.).
Klinischer Zusatznutzen der H₂S-Messung
Schließen einer diagnostischen Lücke:
Wenn H₂ durch Sulfatreduzierer „abgefangen“ wird, kann ein 2-Gas-Test falsch-negativ ausfallen. Die zusätzliche H₂S-Messung deckt u.s. solche Profile auf und verbessert damit die klinische Interpretierbarkeit des Atemtests (ergänzende Sensitivität im Sinn „entgangener Fälle“). Quantitative Head-to-Head-Daten zu Sensitivität/Spezifität gegenüber Aspirat-Kultur oder klassischen SIBO-Tests fehlen bislang. Die erforderlichen Daten müssen durch klinische Studien generiert werden. Hier ist die VOC-Advanced Breath Diagnostics GmbH Innovationsführer und wird in Kürze mit der Durchführung einer klinischen Studie beginnen, um viele der offenen Fragen als Grundlage für die Einführung des Schwefelwasserstoff-Tests der VOC-Advanced Breath Diagnostics GmbH zu beantworten.
Optimierung der SIBO-Therapie durch Phänotypisierung:
Schwefelwasserstoff-SIBO mit Durchfällen (IBS-D-Phänotyp): Der zusätzliche Nachweis von Schwefelwasserstoff im Atem bei Patienten mit Durchfällen stützt den Einsatz einer antimikrobiellen Therapie gegen SIBO (z. B. Rifaximin gemäß Leitlinie) und eröffnet additive Strategien wie die Therapie mit Bismut-Präparaten (H₂S-Bindung; frühe Evidenz) oder Ernährungsansätze (u.a. niedriger Schwefelgehalt). Die Datenlage zu H₂S-zielgerichteten Therapien ist allerdings noch begrenzt (Barlow et al).
Methandominante SIBO (IMO) mit dominierender Verstopfung (IBS-C-Phänotyp): Neben der Gabe von Laxantien und ggf. Prokinetika, stützt der Nachweis hoher Methanwerte als Hinweis auf eine intestinale methanogene Überwucherung (IMO) die Gabe einer antibiotischen Kombinationstherapie aus Rifaximin und Neomycin zur Behandlung einer Obstipation (Pimentel M et al. 2020)
Für welche Patienten ist die H₂S-Messung besonders sinnvoll?
- IBS-D-dominanter Symptom-Phänotyp (wässrige Diarrhö, Drang, postprandiale Beschwerden), insbesondere wenn H2 und CH₄ niedrig sind.
- Persistierende SIBO-Verdachtsfälle mit negativem 2-Gas-Test, bei denen klinische Wahrscheinlichkeit für eine SIBO hoch bleibt (z. B. nach Darm-OP, Motilitätsstörung, PPI-Langzeit, Strahlentherapie).
- Misch- oder wechselnde Verläufe (Diarrhö/Obstipation), um H₂S- und CH₄-getriebene Muster zu unterscheiden und Therapien zu priorisieren.
Schlussfolgerung und Ausblick:
Die H₂S-Messung erweitert den SIBO-Atemtest um einen biologisch schlüssigen Marker, identifiziert wahrscheinliche H₂-Senken und korreliert mit IBS-D-Phänotypen sowie H₂S-Produzenten im Mikrobiom. Damit verbessert sie die klinische Interpretierbarkeit und unterstützt eine zielgerichtetere Therapie-Triage. Ein gesicherter Zuwachs an diagnostischer Genauigkeit im Sinne harter Sensitivitäts/Spezifitäts-Kennzahlen ist derzeit noch nicht durch prospektive Referenzstudien belegt. Studien wie die der VOC-Advanced Breath Diagnostics GmbH zur Evidenzentwicklung bleiben abzuwarten.
Literatur (Auswahl)
Rezaie A. et al. Hydrogen and Methane-Based Breath Testing in Gastrointestinal Disorders: The North American Consensus. Am J. Gastroenterol 112: 775-784, 2017
Pimentel M. et al. ACG Clinical Guideline: Small Intestinal Bacterial Overgrowth. Am J. Gastroenterol 115: 165-178, 2020
Gudan A. et al. Small Intestinal Bacterial Overgrowth and Non-Alcoholic Fatty Liver Disease: What Do We Know in 2023? Nutrients 15: 1323, 2023
Banik G. et al. Hydrogen sulphide in exhaled breath: a potential biomarker for small intestinal bacterial overgrowth in IBS. J. Breath Res. 10 (2): 026010, 2016
Buret A et al. Effects of Hydrogen Sulfide on the Microbiome: From Toxicity to Therapy. Antioxidants & Redox Signaling 36 (4-6), 2022
Villanueva-Millan M et al. Methanogens and Hydrogen Sulfide Producing Bacteria Guide Distinct Gut Microbe Profiles and Irritable Bowel Syndrome Subtypes. Am J. Gastroenterol 117: 2055-2066, 2022
Voigt, W H2S im Atem – ein Risikofaktor für die Entwicklung eines Kolonkarzinoms, Trillium Krebsmedizin 33(1): 4-8, 2024
Barlow G et al. Modern concepts of small intestinal bacterial overgrowth. Curr Opin Gastroenterol 41:399-408, 2025